In der Mitte seines Lebens verabschiedete sich Ulrich Pietzsch von seinen bisherigen Berufen als Theaterkritiker, Wissenschaftler, Buchautor und Filmemacher. Er hatte die lange verborgene Fähigkeit bei sich entdeckt, dass er Bilder malen konnte. Seine Frau Lydia war verblüfft, dass ein gelernter Philosoph und geübter Journalist alles Gelernte vergisst, plötzlich sein Leben völlig verändert und begeistert Bilder malt. Sie hatte schon lange geahnt, dass in ihm noch andere Begabungen stecken. Nun förderte sie sein Talent und organisierte seine erste Ausstellung, nachdem er 100 Bilder gemalt hatte. Er nannte sich „Der Bildermaler“ und kam von einem fremdbestimmten Leben zu einem Dasein, das ihm in der meisten Zeit eine unbegrenzte Freiheit im Schöpfungsdrang ermöglichte.

Seit 40 Jahren malt er. Tausende Bilder, hunderte Aquarelle und Pastelle, neuerdings unzählige Acrylbilder und Ölpapierarbeiten sind entstanden. Er hatte (bis 2015) 75 Personalausstellungen in Galerien, Museen und Institutionen im In- und Ausland. In seinen Ausstellungen kann man die Leute plötzlich lächeln sehen. In diesem Lächeln steckt die Freude am Leben, aber auch unbewusst der Missmut gegen die Rationalisierung und Versachlichung der uns umgebenden Welt. Ja, man kann noch Bilder ansehen, auf denen etwas zu „sehen“ und zu entdecken ist, die Schönheit und Einfachheit unseres Alltags. Neben der Malarbeit hat er immer geschrieben, auch Gedichte. Sein Geschichtenbuch „Verdammte Heimat“ fand Beachtung. Im Alter hat er wieder verstärkt mit dem Schreiben begonnen. Er legte ein Buch mit dem Titel „Aufs richtige Pferd gesetzt“ vor. Humorige Episoden und Geschichten zeigen, wie es in seinem Malerleben zuging, was er erlebte mit Galeristen, Museumsleuten, Generaldirektoren, Bildersammlern, Ausstellungsmachern, Künstlerkollegen und – nicht zuletzt – mit seinem Publikum. Letztlich kommt dabei heraus, dass er eigentlich alle Bilder nur für seine Frau gemalt hat. Dr. Manfred Fortmann gab einen Bildband über den Maler heraus. Er selbst verfasste die Lebensgeschichte seiner Frau und schrieb über seine Kindheit.

Der Bildermaler Ulrich Pietzsch hat Don Quichote oft gemalt, weil er sich manchmal selber so fühlte, aber auch beeinflusst von äußeren Umständen. Einmal hat er den Ritter von der traurigen Gestalt auf einem Schaukelpferd  gemalt. Der fuchtelt mit der  Lanze herum. Aber er kommt er mit dem Bekämpfen der Windmühlen nicht voran.

„Die Welt“, sagt er, „ist eine einzige Don Quichoterie, und wem es schwer fällt, sich in ihr zurecht zu finden, dem kann man nur raten, sein Leben  mit Humor zu überstehen. Ich mache mir meinen Humor selber, indem ich ihn auf meine Bilder male.“

Der Humor des nun über 80jährigen Bildermalers überträgt sich auf die Betrachter. Sie lächeln vor seinen Bildern und staunen über die Lebenskraft, Erzählfreude, den Optimismus, die Vielfalt der Motive, vor allem über den poetischen Geschmack. Seine Frau sagt ihm, sie brauche nicht mehr zum Arzt gehen, es reicht, die Bilder anzusehen. Das ganze Haus des Malers hängt voller Bilder. Deshalb will das Ehepaar auch nicht verreisen, es würde seine Bilderwände vermissen.

Manche mögen sagen, er sei ein Fossil, Überbleibsel einer vergangenen Zeit. Doch genau wie sich der Archäologe freut, ein Fossil auszugraben, weil es nicht nur neue Erkenntnisse bringt, sondern ihm auch einen ästhetischen Genuss bereitet, so sind auch die Betrachter der Bilder von Ulrich Pietzsch Ausgräber einer Zeit, wo es zwischen den auch schon immer unvermeidlichen Kriegen, Hungersnöten, Seuchen und sonstigen Gräueltaten gemächlicher und zufriedener zuging als heute. Wenn man genauer auf die Bilder schaut, kann man derartige schöne „fossile“ Ereignisse und Geschichten auch noch in der Gegenwart genießen. Als Rudimente sind sie noch überall zu sehen. Seine Bilder verzaubern und entzaubern zugleich. Sie sagen: „Oh wie schön“, und danach: „Schade, dass es das nur noch so selten gibt, weil wir es zunehmend  zerstören“.

Das Bild ist bei ihm Empfindungswerk. Der Maler meinte:

„Wenn ich sage, ich male Eindrücke von den Dingen, so verstehe ich das nicht im Sinne der Impressionisten, die täglich mit dem Pinsel und der Farbe darum kämpften, den Eindruck einer Stimmung festzuhalten, was ihnen dann als flüchtiges, bewegtes, verschwommenes, meist Licht durchflutendes Bild genial gelang. Bei mir bedeutet das Wort Eindruck etwas anderes. Was ich sehe, will ich nicht nachvollziehen, sondern der unmittelbare Eindruck mischt sich bei mir mit dem, was sich in meinem Unterbewusstsein an Eindrücken gespeichert hat. Dafür benötigte ich ein ganzes Leben, auch für jene Eindrücke, die ich vor meiner Zeit als Maler, also vor dem 39. Lebensjahr hatte. Sie verlangen nach dem Aufruf durch mich selbst. Das sind verborgene, oft auch nur schwer auffindbare Sinnestatsachen, die ich einmal, auch schon als Kind, gesehen und in mir aufgehoben habe“.

Es vollzieht sich auf diese Weise die Verdopplung der Welt, Phantasie bringt das Innere des Malers und das Außen seines Blicks, das Noch – Heute und die Erinnerung. in Kollision. So kommt es, dass die Bilder den so genannten einfachen Menschen genau so wie einzelgängerischen Intellektuellen in geheimem Einverständnis gegenüber treten. Wer möchte, kann auch über sie nachdenken. Meist ist jedoch der unmittelbare Eindruck ohne tieferes Nachdenken wichtig. Die Art der Entstehung dieser Bilder lässt die mehr emotionale Reaktion zwangsläufig folgen. Der Maler geht in seiner Kunst nicht den Umweg des Vordenkens und Planens, sondern lässt sich von instinktivem Reagieren treiben. Und das merken die Betrachter. Er sagt:

„Ich habe nie ein Bild geplant. Das würde ich nicht tun, weil ich dazu meine Phantasie vergewaltigen müsste. Ich muss meine Gestaltungsmöglichkeit jederzeit offen halten. Selbst wenn es durch vorheriges Bleistiftzeichnen den Schimmer eines Planes gegeben hätte, er würde unterwegs, während der Arbeit an dem Bild, wieder verloren gehen.“

Der Psychologe Dr. Thomas Krauss meinte nach Beschauen seiner Bilder:

„Er malt seine Träume“.

Zunächst konnte der Maler dies nicht verstehen, weil er nie seine Träume malt. Die sind ihm viel zu traurig. Aber bald verstand er, was gemeint war: Während der Arbeit an einem Bild versinkt er völlig im Gestalten, er schaltet ganze Bereiche seines Bewusstseins aus und wird zum  Tagträumer.

Das Vorgehen des Malers beantwortet auch die Frage, ob er ein naiver Maler ist. Naiv vielleicht, weil er das Malen nie gelernt hat, was bei diesem Talent eine Gnade ist und ihm das instinktive Aufnahmevermögen und den nur ihm zugehörigen Pinselstrich gibt. Da sich bei ihm freier Gestaltungswille durchgesetzt hat, erfolgt der Umbruch von dem, was gewöhnlich „Naiv“ genannt wird, bei ihm zu einer anderen Qualität. Es hat sich bei ihm ein  vielfältiges Formgefüge etabliert  und ist zu einem überzeugenden Ausdruck geronnen. Da kann man ihn schwer einer Stil – und Motivzugehörigkeit  unterordnen. Höchstens ein bisschen der Romantik, die ja wie ein Veto gegen die ernüchternde Rationalität steht. Wir wissen, sie hat sich real nie durchgesetzt, aber sie bliebt utopisch in vielen Herzen erhalten.

Genau besehen: So vernunftfern und unpolitisch sich die Bilder auch offenbaren, sie sind es eigentlich nicht, denn wer eine Art Gegenwelt zu den herrschenden Zuständen zeigt, der ist vielleicht auch politisch und nicht ganz vernunftfern. Es hat noch niemand bestritten, dass die Kunst auch eine Trostfunktion hat. Die Zeitgeistfanatiker, denen sich die gesamte Kunstmoderne verpflichtet fühlen, würden das bespotten. Unserem Bildermaler ficht es nicht an. Er kann es sich leisten, poetische Bilder zu malen, weil er kein unbedingter Anhänger des Kulturbetriebs ist, wiewohl ihn in der letzten Zeit immer mehr Kunstvereine in ihr Programm aufnehmen. Besonders gern stellt er auch in kleineren und mittleren Museen aus, weil er da – anders als in Galerien – mit Besuchern rechnen kann. Galerien haben meist keine Besucher, außer bei der Eröffnung, auch Vernissage genannt. Wie es da mitunter zugeht, darüber hat unser Bildermaler eine Geschichte geschrieben, die er in seinem Buch „Aufs richtige Pferd gesetzt“ drucken ließ. Dort sind 38 Kurzgeschichten über seine Erlebnisse als Maler enthalten. Lesenswert.

Eigentlich hat er immer Einzelausstellungen bestückt. Seine Frau hat ihn darin bestärkt. In den letzten Jahren hat er sich an drei Sammelausstellungen beteiligt, eigentlich zunächst gegen seinen Willen, und den Willen seiner Frau Aber dann hat er gemerkt, dass er die Konkurrenz der Moderne nicht nur aushält, sondern dabei auch ausgesprochen gut abschneidet. Die Leute bleiben vor seinen Bilder länger stehen, weil sie merken, da erzählt einer noch etwas und das mit Humor. Da merkt er, dass er tiefe Bedürfnisse bei den Menschen getroffen hat. Es gibt aber noch einen anderen Grund: Die gesamte moderne Kunst und die so genannte naive Kunst entstammen als Massenverbreitung aus einer Linie. Naivenurvater Henri Rousseau war mit Moderneurvater Picasso eng befreundet. Sie besuchten sich regelmäßig und gegenseitig in ihren Ateliers. Picasso hat für Rousseau sogar ein Ehrenbankett ausgerichtet. Das weiß heute kaum noch jemand.  Die naive Kunst ist die engste Verwandte der Moderne, auch weil sie ein Gegenpol ist.

Pietzsch will aber nicht als naiver Maler bezeichnet werden und weicht deshalb bewusst auf die Bezeichnung „Der Bildermaler“ aus, ein Begriff, den er nicht erklären will. Er hat etwas geschafft, was Malern meist erst nach ihrem Ableben beschieden ist, er hat sein „Werkverzeichnis“ zusammengestellt und es auch in Druck und ins Internet auf seine Website gegeben. Schaut man es sich an, so merkt man zunächst eine deutliche naive Stilistik, was sich mit  der Tatsache erklären lässt, dass er nie eine Malausbildung erhielt und alle malerischen Fertigkeiten und stilistischen Formen selber entdecken musste. Aber mit näherem Blick sieht man auch eine starke realistische Gegenständlichkeit auf seinen Bildern. Gerade in dieser Mischung zwischen intuitiv erfassten gegenständlichen Ausdruck und dem freien Umgang mit Form und Farbe entsteht der Reiz dieser Bilder. Sie sind naiv und sind es nicht, sie sind realistisch und sie sind es nicht. Man könnte von poetischem Realismus sprechen, manchmal in der Nähe der Idylle, manchmal  sind seine Menschengestalten skurril. Die Vielfalt ist es, die den Betrachter anzieht. Ein Galerist wählte als Titel für eine Pietzsch – Ausstellung den Satzt: „Real § Naiv“Besser kann man es nicht sagen.

Nebenbei bemerkt: Auch der Umstand, dass er mit dem Malen nur deshalb begann, um seiner Frau eine Freude zu machen, weist auf eine gewisse Naivität hin. Denn hier wurde von vornherein jegliches Kalkül für eine eventuelle Malerkarriere ausgeschlossen, die sich aber zum Erstaunen des Malers und seiner Frau Lydia dann wie von selbst einstellte.

Was bemerkt man noch bei diesem gewaltig zu nennenden Werküberblick von 3000 Bildhinweisen und 1800 Fotos? Die unendliche Phantasie der Gestaltung. In den verschiedenen Schaffensperioden entdeckt man Unmengen von Motiven. Man merkt, dem Bildermaler fällt immer etwas Neues ein, man sieht auch, dass er im Alltag so viele Details entdeckt, die er als malbar erkennt. Er hat den optischen Blick. Wo mancher Zeitgenosse darüber hinweg schaut, da sieht er eine poetische Dorfecke, einen knorrigen Baum, ein weit gestrecktes Blumenfeld, Dorfszenen, Menschen auf Flohmärkten, bei der Ernte, auf Hochzeiten, im Zirkus, überall dort, wo etwas passiert. Man muss es sich in diesem opulenten Werkverzeichnis auf dieser Homepage einfach selber angucken.

Er hat in jungen Jahren Philosophie studiert, aber den theoretischen Ballast von sich abgeworfen und  sich dem Gedenken von Leben – und Alltagserinnerungen gewidmet. Ja, auch sich in seine Kindheit zurückversetzt, die er in dem Buch „Der  kleine Wadenbeißer“ auf 400 Seiten beschreibt.  Aber manchmal meint man, der Philosoph schimmert noch durch auf seinen Bildern, schon dadurch, dass es scheint, der Bildermaler sei die Alternative zur Kunst der Moderne, die ja die so genannte Gegenständlichkeit auf ihren Bildern ablehnt. Da wäre er sozusagen ein Philosoph der Gegenwelten, die ja oft von der heutigen wissenschaftlichen Philosophie beschworen werden. Und da zeigt sich, dass es absolut falsch ist, ihn  n i c h t zur modernen Kunst zu zählen. Er gehört dazu. Erst  die manchmal abstrusen Bilder der Moderne rufen zwangsläufig und ihr zugehörig die gegenteilige Ausdruckweise hervor. Fälschlicherweise wird dies als „heile Welt“, als Konservatismus verschrien. Man meint, mit diesen Begriffen etwas Negatives erfasst zu  haben und  hat nur ausgedrückt, was unbedingt notwendig ist. Der Bildermaler Ulrich Pietzsch weiß, dass das, was er bisher in seinem Leben an Liebe und Enttäuschung, Aufstieg und Fall, an Krankheit und Genesung erlebt hat, nur mithilfe seiner Kunst kompensiert werden kann. Etwas anderes gibt seine Mentalität nicht her. Seine Frau Lydia stärkt und stützt ihn nun seit 50 Jahren in diesem Bestreben.

Notate

von Ulrich Pietzsch

Künstler machen manchmal Arbeitsnotizen. Brecht nannte sie Notate. Warum er das Notat (schriftliche Bemerkung, Anmerkung, Aufzeichnung) in der Mehrzahl, also als „Notate“ in Mode brachte, hat einen ganz einfachen Grund: Er waren  so viele  in einem kurzen Leben. Ich habe spät damit angefangen, weil ich am Beginn meiner Malerei nicht nachgedacht, geschweige denn theoretisch reflektiert habe. Als gelernter Philosoph musste ich längere Zeit meines Lebens ziemlich viel krampfhaft nachdenken und war froh, diese Übung endlich vergessen zu dürfen. Malerpinsel und Leinwand haben mir dazu verholfen, eine Zeitlang in den Schlaf der Vernunft zu fallen. Malen ist ja so etwas als würde das Leben stehen bleiben, wahrscheinlich auch der Körper und der Verstand. In letzter Zeit sind aber einige Notate von mir aufgeschrieben worden, die ich  nicht vorenthalten möchte. Ich nenne das „Malerlatein“.

Der Bruch

Mit 39 Jahren absoluter Bruch mit der bisherigen Berufsarbeit und den Lebensgewohnheiten. Rückzug aufs Land. Züchten von Schafen. Alternatives Leben. Daraus entstand das Bedürfnis, unabhängig von Zeit- und Stresszwang, kreativ tätig zu werden.  Alle bisherige Berufsarbeit unterlag der Selbstkorrektur, beeinflusst von äußeren, oft unangenehmen Einflüssen, deren Eingriffe zunächst nicht erkannt wurden, die aber letztlich für das Verändern von entscheidender Bedeutung waren. Etappenweise und immer für einen Lebensabschnitt geltend waren sie die logische Folge, die zum endgültigen Bruch führten.

Spontan

Zum Malen bin ich spontan gekommen, ohne angestrengtes Denken, ohne berufliche Absicht, nur aus Freude am Gestalten. Ich habe nicht darüber nachgedacht, welche Stilrichtung ich einschlagen würde, ob ich das Bild richtig grundiere, welche Öle ich den Farben beimischen soll. Alles das habe ich nicht gewusst, musste folglich im täglichen Selbst – Lernen meine Malweise finden. Theorien habe ich mir nicht zu Rate gezogen und auch nicht zu Recht gelegt. An Ausstellungen habe ich auch nicht gedacht. Aber das Wunder geschah, ich schaffte es, 40 Jahre lang mein Brot mit dem Malen zu verdienen, will sagen: mein Scherflein zum Familienbudget beizutragen.

Naiv

Alternatives Leben ist immer naiv, weil zu 50% nicht real, nur eingebildet. Bei mir kam hinzu, dass ich meine Kreativität in meiner Umwelt entdeckte, in der noch intakten dörflichen Struktur. Das war ebenso naiv, denn auch diese Intaktheit war zum Zeitpunkt des Beginns meiner Malarbeit  nur bedingt real. Als Drittes kommt hinzu, dass ich nicht als Maler ausgebildet wurde. Folglich werde ich oft als naiver Maler bezeichnet. Ich höre diese Bezeichnung nicht gern, weil sie eine Modebezeichnung ist, um einen Stil zu definieren. Ich habe keinen naiven Stil, sondern meine  Bilder sind eine Kombination von Naivität und Realistik.

Denken/Gefühl

Der Bruch im Leben hat die Relation zwischen Denken und Gefühl von mir verändert. In meinen früheren Berufen war ich auf möglichst scharfsinniges Denken angewiesen. Das Gefühl war privatisiert. Mit dem Malen entstand stärkeres Hinwenden zum Gefühl, da ich nun mein zuvor vernachlässigtes Unterbewusstsein aktivierte. Dies ist auch ein naiver Zug, denn das moderne Leben kann das Unterbewusstsein nicht gebrauchen. (Bei mir ging es sogar soweit, dass ich schon 1984 den Fall der Mauer indirekt voraussah, in einem Gedicht, das damals veröffentlicht wurde).

Trost als Rebellion

Die Moderne entzaubert durch Rationalisierung auf allen Gebieten die Welt (Erfindungen, Technik, Entfremdung, unpersönliches, meist zynisches Verhalten, Konflikte, Zerrissenheit, Kriege). Jemand hat gesagt: Durch Verrechtlichung werden Binnenräume zerstört.

Das provoziert die Gegenwelten der Menschlichkeit: Gefühlskultur, Hinwendung zum Nostalgischen, zur Natur, Hervorhebung des Privatlebens, des Alltags. Meine Bilder sind Ausdruck dieser Gegenwelten.

Moderne Kunst wühlt die Menschen auf, Ihr schriller Aufschrei macht nervös. Ich bin gegen das Schrille, will Trost. Beruhigung in der Hektik.

Künstliches

Das Künstliche ist überall zu finden, im Bauwesen, in den Kaufhäusern, im Theater und auch in der Bildenden Kunst. Man hat es auch das Artifizielle genannt: künstlich gemacht, hergestellt,  gekünstelt. Die Umwelt der Moderne ist künstlich. Die Innenstädte sind aus Beton. Die Reklameschriften aus dem Computer. Die Verpackungen der Lebensmittel sind Werbung. Die menschliche Haut wird durch Tätowierung künstlich. Die moderne Kunst ist künstlich, wird schon oft mit dem Computer hergestellt. Das großformatige, künstlich manipulierte Foto, technisch erzeugt, wird zum Verkaufsschlager.

In älteren Fremdwörterbüchern wird dieser Wortstamm „Artiell“ als die Kunst betreffend eingeführt und daraus auch „artificiell“ abgeleitet, was dann mit „künstlich“ übersetzt wird. Daneben steht gleich das Wort „artificiös“, was mit „schlau, verschlagen“ benannt ist. Mir scheint das ist eine kluge Auslegung. Wer besonders schlau und verschlagen ist, wird sich den besten Kunstgriff („Artificialität“) ausdenken, wird in die höheren Sphären der Künstlicheit vorstoßen.

Meine Bilder sind nicht künstlich, sie sind Handarbeit.

Erzählen

Die Tradition des Erzählens ist seit Jahrhunderten Bestandteil der Bildenden Kunst. Die Moderne hat damit gebrochen. Der moderne Maler will auf seinen Bildern nichts erzählen, er überlässt es dem Kunstwissenschaftler, seine Arbeit zu interpretieren. Der „Inhalt“ seines Bildes soll vergeistigt werden und in das Hirn des Betrachters hinüberschweben. Das Bild verlässt seine materielle Hülle und wird zur Bewusstseinstatsache. Es wird mit übertriebener Theoriesucht zum Denkvorgang. Ich will Denken beim Betrachten meiner Bilder nicht ausschließen, lege aber Wert darauf, dass sich der Beschauer an einer erzählten Szenerie emotionell erfreut, und zwar durch den unmittelbaren Eindruck, ohne den Umweg einer Theorie gehen zu müssen.

Stille Träume

Wir bewässern die Wüsten und pflanzen Bäume, da hätten wir tausend Jahre zu tun. Statt Zigaretten, Schnapsflaschen, Benzinkanister, Bomben und anderes Zerstörungsgerät hätten wir Setzlinge in der Hand. Täten wir das nicht, würde es mit unserer Erde zu Ende gehen. Dann hätten wir nur eine Möglichkeit: Wir müssten uns eine künstliche „Erde“ bauen, die unsere Erde umrundet. Mit Bäumen, Feldern und Wiesen. Und alle dorthin auswandern. Wir würden unseren Planeten dreihundert Jahr verlassen und ihn sich selbst überlassen. Erst dann würden wir auf ihn zurückkehren, um zu sehen, was aus ihm ohne Menschen geworden ist.

Neuheitssucht

Die meisten Kunsttheoretiker definieren Kunst als Suche nach dem Neuen, alles andere wäre nach ihrer Ansicht keine Kunst. Das ist ein großer, in unserer vertrackten Neuzeit fest installierter Irrtum. Er wird aber mit solch einer Selbstverständlichkeit immer wieder vorgebracht, dass er durch ständige Wiederholung von breiten Kreisen einfach angenommen wird. Dass es sich hierbei um Ideologie, nämlich falsches Bewusstsein, handelt, merken die Wenigsten. Nämlich entspricht diese Meinung genau dem Charakter jener Neuheitssucht, die vom Profitstreben gesteuert wird. Neuheitssucht in der Kunst ist die Parallele, man kann auch sagen: das Symbol, von all dem, was unseren Planeten kaputt macht.

Motive

Goethe notierte bei seiner Schweizreise 1797:

„Motive. Die besten sind die naiven, weil sie sich selbst erklären, und sie den reinsten Reiz und Gefallen geben; sie sind das Glück des Symbolischen und trennen es vom Allegorischen“.

Johann Wolfgang Goethe

Was Goethe meint:

Sich selbst erklären heißt, Motive sind eigenständig, authentisch. Zunächst meint man, sie weisen auf nichts anderes hin. Glück des Symbolischen heißt, sie sind Wahrzeichen für ein anderes, bedeuten einen tieferen Sinn, sind doppelt, weil deckungsgleich mit einer anderen Bedeutung. Meist ist dies nicht beabsichtigt, aber es entsteht, weil es naiv ist. Vom Allegorischen sind sie getrennt, weil sie nicht von vornherein nur einen Sinne haben können.

Meine Kunst ist Bestandteil der Moderne

Auf den ersten Blick scheint dies angesichts der Gegenständlichkeit der Arbeiten anachronistisch. Dem ist aber nicht so. Sie gehört dazu. Ihre Identität mit der Moderne besteht in ihrer Gegensätzlichkeit. Man kann auch sagen: es ist ihre Variante. Sie zeigt nicht Auswüchse und Zerstörung, sondern Erhaltenswertes, das von der Moderne ausgespart wird. Dies ist nur möglich durch Authentizität (ist gleich Echtheit), durch Phantasie (ist gleich Improvisation) und durch Naivität (ist gleich Einfalt). All dies in ständiger Wechselwirkung ergibt poetische Wirklichkeit in der Kunst.

Die geronnene Zeit

Ich will schnelle Zeit nicht wahrhaben. Als Alltagsmensch kann ich es ebenso wenig wie jeder andere – aber als Maler kann ich es. Die Zeit will uns mit sich reißen, Nie ist man dort, wo man sich befindet. Am schnellsten sind unsere Gedanken. Wir denken jeden Augenblick schon weiter, darüber hinweg, was gerade ist. Aber ich will den Augenblick festhalten. Die Zeit kann man nur besiegen, wenn man sie zur geronnenen Zeit macht, also  zeitlose Bilder malt.

Einfacher sein

Je älter ich werde, desto einfacher möchte ich sein. Die komplizierten Gedanken haben uns doch nur an den Rand des Verderbens gebracht. Sie geben den Schein, als spiegelten sie die komplizierte Welt; in Wirklichkeit sind sie ein Netz, in das wir verstrickt werden sollen, um die einfache Tatsache der Dreieinigkeit von Geburt – Leben – Tod zu vergessen. Ein bisschen Leben nur, mehr ist nicht drin.

Sprüche

Betrachte die Dinge so, als sehest du sie zum ersten Mal, dann weißt du, was „naiv“ ist.

Bäume, Blätter, Gräser, Unkraut so malen, als habe die Natur die Möglichkeit, die Zivilisation wieder zu überwuchern.

Maler – Poet, schade, der Begriff ist schon besetzt.

Der Baum ist Leben und Symbol zugleich: Werden und Vergehen, atmet ein und atmet aus.

Jede Behauptung kann widerlegt werden, nur jene nicht, die aussagt, dass sie widerlegbar ist

Haltestelle

Bevor sich der Zug in Bewegung setzt, steht er an der Haltestelle. Auch der rastlose sich bewegende Mensch benötigt manchmal eine Haltestelle, wo er nur sinnsuchend nachdenkt oder auch gar nicht denkt, nur tief durch atmet. Wenn ich vor der Staffelei sitze, befinde ich mich an einer Haltestelle. Alltagshektik, Nervosität und Unrast sind  ausgeklammert. Ich bin ganz bei mir und dem Bild, das ich male. Das einzige, was sich bewegt, ist der Pinsel und der Fortgang der Gestaltung auf der Leinwand.

Phantasie

Die Wirklichkeit macht Phantasie erst möglich. Vom Alltagsmenschen verlangt die Wirklichkeit pragmatisches Handeln. Da kann die Phantasie manchmal in die Irre führen oder stören. Erst der Künstler macht aus ihr ein neues Produkt, er verdoppelt die Wirklichkeit, indem er sie von einer anderen Seite betrachtet. Die Phantasie entnehme der Begegnung mit der Wirklichkeit, die ich hier als naturhafte Erscheinungswelt bezeichnen möchte, oder auch: meinen menschlichen Erlebnisbereich, die objektive Existenz des jeweils anderem, des Getrennten von mir selbst, die bildhaften Elemente. Sie entfalte aber dann ihre Eigenmacht im Bewahren und Verwandeln. Die Bilder, die ich male, sind Neuprodukte meiner Einbildungskraft, aber ihr Material entnehme ich der Wirklichkeit. Also bin ich ein naiver Realist.

Der Bildermaler

Ich will alles richtig malen. Schon dieser Ansatz ist naiv. Wie kann jemand alles richtig malen, der es nicht erlernt hat? Aber so merkwürdig es ist, hier treffen sich naive Haltung und der Wunsch nach dem Richtigmalen im Grenzbereich von Realistik und Naivität. Wäre ich ein naiver Maler, würden sich nur Liebhaber der reinen naiven Kunst für meine Bilder interessieren, aber dem ist nicht so: Die meisten Erwerber meiner Bilder sind einfach von der Realistik gerührt, die auf individuelle Weise gestaltet ist. Auch deshalb nenne ich mich „Der Bildermaler“ und nicht „Naiver Maler“.

Harmlose Kunst –  Kunst gegen Kummer

Kunst der Art, wie ich sie mache, wird hin und wieder als harmlos bezeichnet. Schlägt man in einem Synonymwörterbuch nach, findet man unter „harmlos“ die Begriffe: „Gutartig“, „Keine Schädigung hervor rufend“. Harm heißt Kummer und harmlose Kunst ist Kunst ohne Kummer.

Vergangenheit

Ich bin ein Vergangenheitstyp. Ich erzähle viel von früher. Meist male ich Vergangenheitsbilder. Manche sagen, dies sei das Moderne an ihnen. Meine Ehefrau Lydia nimmt die Bilder als Geschenke gern entgegen, aber wenn ich zu viel von früher erzähle, lacht sie mich manchmal aus. Sie schaut immer mit gegenwärtigem Blick nach vorn. Der eine von uns passt nach hinten auf, der andere nach vorn. So ergänzen wir uns in unseren Gegensätzen. Wir sind ja auch Mann und Frau. Das sind ja bekanntlich Gegensätze. Bei uns ein produktiver Gegensatz: aus ihm sind allerhand Bilderkinder hervorgegangen.