Die Hühner werden kühner

Angelika Landrock liebt die naive Malerei von Ulrich Pietzsch – die ist überhaupt nicht naiv

Was Ulrich Pietzsch in die Hände bekommt, wird zum Bild oder zur Geschichte, oder zu beiden. So war es auch, als ihm Angelika Landrock erzählte, wie sich die Elbe 2002 ihHaus  in Brockwitz geholt hat. Bei Pietzsch wurde daraus nicht nur eine Erzählung, sondern auch ein Bild. Das zeigt ihn selbst mit einer Angel. Damit fischt er sich die Bilder, die Angelika Landrock bei ihm gekauft hat und die die Elbe mitgenommen hat, in Hitzacker wieder heraus.  Hitzacker, das liegt im Wendland, also in der Nähe von Hannover, wo Ulrich Pietzsch seit 30 Jahren wohnt. Aber eigentlich ist er ja ein waschechter Sachse, denn 1937 wurde er in Oberwartha, was heute zu Dresden zählt, geboren. Das hat er selbst in einer Buchwidmung ausgedrückt: „Heimat ist überall, doch Sachsen bleibt Sachsen“, hat er da aufgeschrieben.

Angelika Landrock hat eine kleine Kollektion hat eine kleine Kollektion von acht Pietzsch – Bildern an der Wand hängen… Es ist, als habe ein Kind dem Maler die Hand geführt. So malt Ulrich Pietzsch. Souverän ignoriert er die Perspektive. Angelika Landrock hat Bücher und Kataloge mit seinen Bildern auf dem Tisch ausgebreitet und ein Seite mit dem Bild „Schönes Dorf“ aufgeschlagen. „Schauen sie sich doch bloß  mal die Felder hier an, sie sind übereinandergestapelt, das müsste van    Gogh mal sehen! Es gibt nur zwei Dimensionen.“ Eigenartig genug, stellt sich dennoch so etwas wie eine flache Räumlichkeit heraus. Dazu die Menschen und Tiere – vereinfacht wie in einem Kinderbuch. Naive Kunst nennt man das Ganze…

Seit 1976 malt Ulrich Pietzsch, ohne jede Ausbildung, ein reiner Autodidakt. Landschaften und Orte seiner Umgebung waren sein Gegenstand. Dazu lieferte er Geschichten und Verse, wie diesen: „In Märkisch- Buchholz Strasse drei/Kam nur ein Auto heut vorbei/ Da werden auch die Hühner/Immer etwas kühner“. Und in Wandlitz (hatte) er einen Nachbar, der von Tieren umgeben ist, dem ein Rabe auf der Schulter sitzt und der rote Haare hat. „Seine roten Haare haben mir gefallen, weil ich ja mit Farben zu tun habe und das Rot gleich nach dem Grün meine liebste Farbe ist. Also malte ich ihn mit dem roten Bart. Dass ein solcher Mann nur ein rotes Pony haben kann, ist so gut wie selbstverständlich.“…

Udo Lemke

Sächsische Zeitung 18./19.07.2015

Der Bildermaler bestellt sein Haus

Die Kriegskinder bestellen ihr Haus, nicht nur im Sinne von Testament, Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Viele ziehen Bilanz, versichern sich in der Retrospektive ihrer eigenen Person. So auch der Maler Ulrich Pietzsch, Jahrgang 1937. Vor vier Jahren gab Manfred Fortmann einen prächtigen Bildband über Leben und Werk dieses Künstlers heraus (vgl. Kummerlose Kunst in Kulturation 2011). Nun meldet sich der Meister selbst zu Wort. Er veröffentlicht ein Verzeichnis seiner Werke und einen autobiografischen Roman über seine Kindheit. Nicht zufällig erscheinen Werkverzeichnis und Kindheitserinnerungen zum selben Zeitpunkt, korrespondieren sie doch miteinander. Verkürzt ließe sich sagen: Pietzsch schreibt, wie er malt und er malt, wie er schreibt: kleinräumig, heiter, liebevoll fabulierend – überwiegend innerhalb ländlicher Szenen. Die Welt und das Leben in ihr sind ihm gleichsam ein Garten Eden, ohne Not, ohne Gewalt, ohne Schrecken. Was für die Bilder gilt und als sehnsüchtiger Gegenentwurf zur Realität gesehen werden kann, trifft in gewisser Weise auch auf die Autobiografie zu. Pietzsch resümiert: „Wir Kinder haben eine wunderbare Kinderzeit mitten im großen Krieg.“ (S. 192) Kein schmerzliches Vermissen des zur Wehrmacht eingezogenen Vaters, denn der schickt der Mutter zunächst aus Frankreich Pakete, nicht wie andere Väter mit schönen Kleidern, Pelzmänteln, Lederstiefeln, Seidenstrümpfen, Kaffee oder Schokolade, sondern mit herrlichen Militaria – Stahlhelm, Feldstecher, Trommel, Säbel – alles Dinge, an denen sich das Knabenherz erfreut und das zum Krieg Spielen gerade richtig kommt. Kein Entsetzen, als am Faschingsdienstag 1945, einen Tag nach seinem achten Geburtstag das nahegelegene Dresden bombardiert wird: „Mir kommt alles so vor, als würde ich ein riesiges Feuerwerk erleben, wie auf der Kötzschenbrodaer Vogelwiese…“(S. 263). Kein Schock, als der Vater nach fünfjähriger Abwesenheit als fremder, kranker Mann heimkehrt, nur die stille Frage: „Das soll mein Vater sein?“ (S. 329) Diesen kindlichen Blick hat sich der Verfasser offenbar bis ins Alter bewahrt, eine erstaunliche Gabe, die durch ein Philosophiestudium vielleicht kultiviert, aber nicht erschüttert werden konnte. Wer die Beschreibung der Kinderjahre in einem sächsischen Dorf gelesen hat, erkennt auf den Bildern des Malers all die Gestalten, Situationen und Orte wieder, die dem kleinen Jungen seinerzeit begegneten – im täglichen Leben oder in der Phantasie. Er hat dort auch mögliche Erklärungen für eine derart poetische Weltsicht gefunden. Das Fehlen von Vater und Geschwistern – Pietzsch wächst als Einzelkind heran -, die schlichte Pädagogik der Mutter, die sich um alles allein kümmern muss und nur gelegentlich tröstend oder mit ein paar Backpfeifen eingreift, lassen dem einsamen, oft ängstlichen Sohn hinreichend Raum für kleine Fluchten. Bei wirklicher Gefahr duckt er sich weg, um sich im nächsten Moment in ein neues Abenteuer zu stürzen. Die Kindheit – und damit das Buch – endet mit dem zwölften Lebensjahr. Vater und Sohn begegnen einander schließlich auf Augenhöhe, nachdem der Junge auf einer ausgedehnten Radtour zu Verwandten mithalten konnte. 300 Kilometer in zwei Tagen auf geborgten Rädern, das nötigt beiden Seiten Respekt ab.

Die letzte Nagelprobe ist eine Fahrt ins völlig unbekannte Westberlin. Dorthin wird der Halbwüchsige geschickt, um ein Care-Paket für die Familie zu erstehen. Das gelingt, weil er sich bei allerlei Versuchungen, Widrigkeiten und Hindernissen zu helfen weiß. Der Dorfjunge hat endgültig „verstanden, auf was es im Leben ankommt“ (S. 397). Bei der Lektüre drängt sich unwillkürlich der Vergleich mit anderen Künstler-Kindheitserinnerungen auf. Man denke nur an Albert Ebert, Theodor Fontane, Erich Kästner oder Hans Fallada. Alle bestätigen, was auch Ulrich Pietzsch beschreibt: Die entscheidenden Prägungen erfolgen in dieser Zeit, allerdings weniger durch vordergründige „Erziehung“, als vielmehr durch das Ausbleiben derselben oder im Widerstand gegen sie. Pädagogen mögen da anderer Auffassung sein. Wie dem auch sei: Alte Menschen neigen dazu, sich in Gedanken ihrer Kinderzeit zuzuwenden. Das gehört zum Abschied nehmen. Künstler machen da keine Ausnahme, und Ulrich Pietzsch legt mit seinem autobiografischen Roman ein lesenswertes Zeugnis davon ab, wie in den ersten Lebensjahren schon unbewusst alles Spätere angesteuert wird. Freilich geht er damit großzügig um. Wenn er etwa vermutet, die Liebe zur Natur sei ihm bereits bei der Zeugung einverleibt worden, weil es seine Eltern bei einem Waldspaziergang überkam und sie nicht mehr den Heimweg abwarten wollten. Doch das ist eben Ulrich Pietzsch, wie er leibt und lebt: naiv, witzig, skurril, frivol. Noch verblüffender als die Niederschrift der Kindheitserinnerungen ist das Erstellen eines Werkverzeichnisses durch den Künstler selbst, tatkräftig unterstützt durch seine Frau Lydia Wolgina und durch etliche Sammler. Für einen, der immer seine Distanz zum offiziellen Kunstbetrieb betont hat, ist dies erstaunlich, meldet man doch mit solch einem traditionellen, quasi akademischen Instrument seinen Platz in der Kunstlandschaft an. In einem Werkverzeichnis steckt viel Wissen, Zeit und Energie. Jeder der einmal mit dieser Materie befasst war weiß, was dies für eine Sisyphusarbeit ist. Wenn plötzlich aus dem Nichts etwas Undatiertes auftaucht, gerät die mühsam geschaffene Ordnung ins Wanken, und man muss wieder von vorn beginnen. Oft erscheinen Werkverzeichnisse erst posthum, mitunter beschäftigen sie eine ganze Riege von Wissenschaftlern. Pietzsch hat diese Kärrnerarbeit auf sich genommen – nur böse Zungen behaupten: aus Geschäftsinteresse. Wahrscheinlich stand dahinter vor allem das Bedürfnis, sein Lebenswerk geordnet zu hinterlassen und sich dabei des eigenen Tuns zu vergewissern. Das Werkverzeichnis führt für die Jahre 1970 bis 2015 etwa 3000 durchnummerierte Arbeiten auf, überwiegend Öl- und Acrylbilder, Aquarelle und Pastelle. Die gute Hälfte davon wird durch farbige Fotos dokumentiert – glücklicherweise nicht nur in Briefmarkengröße -, so dass man den Band auch als großartiges Bilderbuch zur Hand nehmen kann. Die beschriebenen Stücke tragen Titel und sind meist kleinformatig, nur ausnahmsweise stößt man auf Abmessungen über 100 Zentimeter. Soweit der Verbleib bekannt ist, werden die Besitzer genannt. Nachgewiesen werden ferner Weihnachtskarten und Plakate sowie 74 Ausstellungen (bis 2014). Spätestens an dieser Stelle gerät der Leser ins Grübeln, weiß er doch, dass nach März 2015 weitere Ausstellungen liefen und laufen werden und dass auch Ulrich Pietzsch gewiss nach wie vor malt. So schön es ist, in den farbigen Seiten zu blättern – wünschenswert und sinnvoll wäre es, das Werkverzeichnis im Internet verfügbar zu machen. Es ließe sich dann jederzeit ergänzen und korrigieren, würde auch weit mehr Menschen erreichen als die Papierform. Ulrich Pietzsch und seinem Werk gerecht zu werden, ist ein schwieriges Unterfangen. Kritiker kreiden ihm an, dass er in einer Welt voller Bedrohungen und Grausamkeiten billigen Trost spendet, indem er die Idylle malt. Andere monieren das Ewiggleiche seiner Themen und Techniken, die Scheu vor Experimenten. Wohlgesonnene sehen gerade in diesem Festhalten an naiver Schönheit und gleichsam kindlicher Lebensfreude, eben an einer „kummerlosen Kunst“, den großen Vorzug seiner Arbeiten. Die Szenen berühren den Betrachter und machen bewusst, was es zu verteidigen gilt. Vielleicht müssen diese Fragen gar nicht entschieden werden. Vertrauen wir einfach auf die Kraft der Bilder. Sie zu erschließen erleichtert uns Ulrich Pietzsch durch die nun vorgelegten Kindheitserinnerungen und durch sein Werkverzeichnis.
Isolde Dietrich Ein Bildermaler bestellt sein Haus Ulrich Pietzsch: Der kleine Wadenbeißer. Eine Kindheit zwischen Oberwartha und Dresden. Husum Druck- und Verlagsgesellschaft 2015, 399 S., 16,95 € Ullrich Pietzsch. Der Bildermaler. Werkverzeichnis 1970-2015. Stand: 31. März 2015, 2. Auflage, 229 S.

Isolde Dietrich in Online Journal für Kultur, Wissenschaft und Politik Kulturation Internet März 2015

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