Wenn Kunst an die Luft geht
Ausstellung Zeitkunstgalerie Halle
Endlich mal wieder was Unpolitisches! Bilder von zeitloser Fröhlichkeit, sinnenfreudig, unbeschwert, zeitlos schön…oder? Ja, ein genießen in diesem Sinne kann man sie, die Bilder des Bildermalers Ulrich Pietzsch, mit denen die Zeitkunstgalerie dieser Tage ihre Sommerausstellung bestreitet. Was für die gute Laune- und natürlich auch ein Augenschmaus sind sie, diese Werke von einem der wenigen Leute, auf die schon in der DDR der Begriff Aussteiger zutraf. Oder besser Umsteiger… Doch schon ein kurzer Blick auf die Biografie des gebürtigen Dresdners macht hinsichtlich des scheinbar so Unpolitischen und Zeitlosen seiner Bilder skeptisch. So ein mann soll zu seiner Zeit nichts zu sagen wollen? Unmöglich! Ausgeschlossen! Muss also, wer lesen, sehen und hören vor 1989 im Osten gelernt hat, bei den fröhlichen Bildern von Ulrich Pietzsch, nun erst wieder seine schärfte Brille suchen und aufsetzen und mal wieder mühsam zwischen den Zeilen lesen?
Ach wo! Denn Pietzschs gemalte Geschichten erzählen auch so, was der Meister in seiner scheinbar naiven Bilderwelt mitteilen will. Denn in einer Zeit, als die Kunst mit aller Staatsgewalt gezwungen war, das angeblich herrschende Proletariat mit Worten, Farben, Formen und Melodien zu schnellerer Arbeit aufzupeitschen – boten wenige tapfere Künstler unbeeindruckt das gegenteilige Programm an: Und schufen, wie dieser Ulrich Pietzsch, eine Gegenwelt. Ihre Gegenwelt. Natürlich auch als Angebot an alle Betrachter, sich eine solche zu eigen zu machen und darin Zuflucht zu suchen.
In der Ausstellung der Zeitkunst sind zwar nur Bilder von Pietzsch aus der Zeit nach 1990 zu sehen, dennoch. Die Botschaft seiner so prägend gewesenen und so bedrängten Jahre im Osten ist bei jeder der hier gezeigten Arbeiten buchstäblich mit Händen zu greifen.. Ob bei seinen halb märchenhaft, halb altertümlich-zeitlos dargestellten Szenerien – sei es Himmelfahrtspartie mit Kutschfahrt oder Volksfest oder einfach Clownerie – überall wird es spürbar, sein gemaltes Plädoyer für Phantasie und Individualität in einer Zeit geforderter Konformität und Uniformität. Für Spontaneität und Originalität statt bloßem Mit-Trotten im vorgegebenen Takt.
Bei Ulrich Pietzsch verlässt die Kunst alle stickigen Innenräume und tritt hinaus ins Freie. Sie zeigt ein kultiviertes Leben mit Ritualen und innerer Haltung als einen letztmöglichen Ausdruck der Freiheit im sonst erdrückenden Alltag. Sie zeigt Inseln der Buntheit in einem mausgrauen Land, wie Pietzsch und so viele es Jahrzehnte erleben mussten. So etwas so zeigen zu können, darin besteht die Weisheit der naiven Kunst.
Detlef Färber
Mitteldeutsche Zeitung Halle vom 28.07.2014