Kummerlose Kunst

Über den Bildband…

Schlägt man das Buch auf, so taucht man ein in ein fantastisches Reich. Das kommt ganz unbekümmert daher – farbenfroh, heiter, poetisch, detailfreudig, mitunter komisch bis skurril: Menschen, Tiere, Blumen, Bäume, Häuser, Landschaften zu allen Tages- und Jahreszeiten. Erzählt werden vor allem Geschichten vom Leben kleiner Leute auf dem Lande, wahre und ausgedachte, vergnügte Schnurren und wundersame Legenden. All die häuslichen und Kneipenszenen, die Bilder von Hochzeiten, Ausflügen, Kutschfahrten, Laternenumzügen, Karnevalsgaudi, von Märkten und Rummelplätzen, von Zirkus- und Theateraufführungen wärmen das Herz und zaubern ein Lächeln ins Gesicht.

Von der Machart und von den Motiven her fühlt man sich sofort an naive Malerei erinnert. Und tatsächlich ist Pietzsch Autodidakt. Aber er ist kein Sonntagsmaler, keiner, der die Malerei als Freizeit – oder Ruhestandsbeschäftigung betreibt. Seit Jahrzehnten ist er ein ausgemachter Profi, einer, der auf 60 Einzelausstellungen zurückblicken kann  und der gut im Geschäft ist… Ulrich Pietzsch ist kein Heimatmaler, der seiner Wahlheimat, dem niedersächsischen Wendland, ein Denkmal setzen möchte. Sein Blick auf die Natur, auf das frei Land und seine Bewohner ist der Blick eines Städters. Er hat die Großstadt im Rücken, nicht nur in dem Sinne, dass er ihr den Rücken gekehrt hat, sondern vor allem in dem, dass sie der immerwährende Bezugspunkt und Hintergrund bleibt, vor dem er sein dörfliches, ländliches Panorama entrollt.. Inzwischen wird sein Werk als >Wohlfühlkunst< bezeichnet… Den Maler wird  solch unverhoffte Nähe eher amüsieren als kränken. Manch Kunstbeflissenem dürften die Haare zu Berge stehen. >Wohlfühlkunst< ist hierzulande geradezu ein Schimpfwort, ein Antibegriff zu wahrer Kunst, die doch auf Sinnsuche, geistige Anstrengung, auf Protest oder zumindest Provokation aus sein müsse.

Ulrich Pietzsch selbst rechnet seine Bilder zugehörig einer >kummelosen Kunst<. Wer hierin ebenfalls einen Verrat an den hehren Zielen der Kunst sieht, dem sei die Lektüre von Hegels >Vorlesungen über die Ästhetik< empfohlen. Dort werden sie kummerlose Seligkeit und Heiterkeit, die gänzliche Unbekümmertheit und Sorglosigkeit, das volle Gefühl von Gesundheit und Lebenslust, der stete Ton von Freude, Schönheit und Glück, Fülle und Wärme, Wohlsein und Milde, der Reichtum  an glänzenden und prächtigen Bildern einer einfachen Natur in der bildenden Kunst verschiedner Völker und Zeiten gepriesen. >Kummerlos< ist in Hegels Kunstbetrachtungen ein Gütezeichen, das er in mehreren Zusammenhängen vergibt, kein Attribut, das Oberflächlichkeit signalisiert.

Ulrich Pietzsch bezieht sich nicht ausdrücklich auf Hegel, aber seine Wortwahl dürfte nicht zufällig sein. Es liegt auf der Hand, dass er nach fünfjährigem Philosophiestudium und fast zehnjähriger Tätigkeit an einer universitären >Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaften< seinen Hegel kannte und dass dieser auch im Untergrund noch fortlebt. Wer Näheres zur Kunstauffassung des Malers wissen will, der lese in dem Bildband nach. Dort ist auch Erhellendes über sein Selbstverständnis als >Bildermaler< zu erfahren. Mit dieser Bezeichnung möchte er seine Unabhängigkeit demonstrieren, sich abgrenzen einerseits von >naiven< Malern, andererseits von den etablierten Repräsentanten des offiziellen Kulturbetriebes. Ob dies nötig oder möglich ist, sei dahingestellt. Denn selbstverständlich gehört auch ein Autodidakt wie er mit seinem Atelier, seinen Bildern und Büchern, seinen Ausstellungen und Lesungen, seinen Sammlern im In- und Ausland zum allgemeinen Kunstmarkt, ist dessen Gesetzen unterworfen.

…Die Bilder selbst bedürfen keiner Interpretation. An ihnen kann man sich ohne jede Erklärung erfreuen und sich seinen eigenen Reim daraus machen. Aufmerksam gemacht werden sol zugleich auf einen kreativen Kopf, dessen grenzenlose Fantasie sich nicht nur in seinen Arbeiten zeigt, sondern auch in der eigenen Vita niederschlägt. Hier hat sich ein Mensch in der Mitte seines Lebens quasi neu erfunden – und mit ihm seine Ehefrau Lydia Wolgina. Der Philosoph und Theaterkritiker und die einstige Primaballerina an der Deutschen Staatsoper Berlin leben zurückgezogen auf dem Land, in Gesellschaft von rassigen Katzen und edeln Hunden. Sie haben ihr erstes Leben hinter sich gelassen, aber der Horizont ist weit geblieben. Die ganze Welt der Wissenschaft und Kunst, der Politik- und Kulturbetrieb, das großstädtische Leben sind noch immer sehr präsent. Nur so lässt sich ein Gegenbild entwerfen in Gestalt eines paradiesischen Zustandes. Ulrich Pietzsch nennt es so: Die Kunst macht den Alltag neu. Durch sie sehen wir die Wirklichkeit anders.

Dr. Isolde Dietrich

Kulturation 2011  (Internet: www.kulturation de)

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